Mittwoch, 26. Mai 2010

Die Überfahrt ins Königreich





Viel Zeit ist vergangen seit dem letzten Blogeintrag…. Nach unserer Rückkehr aus Sankt Petersburg – diesmal hatten wir eine unbequeme Nacht in den 6er Kabinen verbracht (vor unserer Hinreise hatten wir, dank der immerwährenden Helligkeit, zuvor durchgemacht und schliefen um 20h tief und fest ein) – gingen wir zu Fuß den Weg vom Hafen ins Zentrum von Helsinki, das uns nach unserem langen Aufenthalt schon recht vertraut war. Es war frühmorgens, ein Feiertag und die Straßen nebelverhangen und menschenleer. Im Zentrum kam uns eine Menschengruppe entgegen, wiedermal trugen alle ihr weißes Käppchen und machten anlässlich Christi Himmelfahrt einen Umzug durch die Stadt. Unser Auto hatten wir am Stadtrand von Helsinki geparkt und mussten den Weg mit der U-Bahn, die unseres Erachtens eigentlich eine Schnellbahn war, zurücklegen. Zuvor hatten wir noch die beiden Sportler getroffen. Das Auto ist so schnell angesprungen, wie lange zuvor nicht und hat sich anscheinend über unsere Rückkehr gefreut. Bis unsere Fähre nach Stockholm startete hatten wir noch fünf Stunden, die wir damit verbrachten unseren Blog zu aktualisieren und Essen aufzutreiben.

Um 19h startete die Fähre. Die ersten Freuden erlebten wir beim Check-in. Wir hatten zuvor ein kleines Upgrade bei den Kabinen durchführen lassen – nicht mehr die billigste Kategorie unter dem Autodeck, wie auf der russischen Fähre, sondern um 16 Eur eine bessere Kategorie – und uns wurden Kabinen auf Deck 9, was ziemlich hoch oben ist, zugeteilt. Gleichzeitig mit den Boardingcards wurde uns ein Programmheft mit dem Angebot der Fähre ausgehändigt. Der Inhalt bescheinigte uns hier auf dem ersten Dampfer unserer Reise gelandet zu sein, der dem Kreuzfahrtflair zumindest nacheifert. Ich spreche hier von einer Ausstattung, die sich wie der müde Traum einer jeden Familie anhört, in der Zuhause zu viel Zeit damit verbracht wird in hochglanzpolierten Magazine den Society-Teil zu lesen: die obligatorische Einkaufspassage mit Bars und Läden, ein Casino – in Finnland sehr beliebt oder auch einfach nur nicht kriminalisiert (ich weiß es nicht) sind Spielautomaten - ein Wellnessbereich mit Sauna und verglastem Schwimmbad am obersten Deck , eine Bar für gediegenes, eine Disko und Playstationspielhalle für junges Publikum. Ich war natürlich begeistert auf so einem interessanten Schiff gelandet zu sein – die anderen Fähren hatten gar kein Programm. Mit einem Gläschen Sekt zum Einstand um 6 EUR (kleine Flasche und Plastikglas) winkten wir Helsinki „Baba“ und machten uns auf den Weg das Schiff zu erkunden. Anscheinend sind Fähren eine der letzten Bastionen, die bisher nicht vom legeren Wind der Zeit umweht werden. Die Preise sind horrend, die Leute, wenn auch nicht immer gut, so durchwegs ordentlich gekleidet und es wird krampfhaft versucht eine Art Aura des Luxus zu entfachen, die zumindest den flüchtigen Blick überdauern und ihm standhalten soll. In der Disko tummelten sich junge Mädchen und Jungs, die darauf bedacht waren besonders cool auszusehen, auch eine Männergruppe und zwei Singlefrauen in ähnlichem Alter fanden sich, die Männer wagten aber keine Annäherungsversuche –niemand wollte sich vor den acht anderen blamieren - und so blieb es bei einem kurzen Paarungstanz. Nebenan saßen die jüngeren Buben, die sich noch nicht für Diskomädels zu interessieren schienen und spielten mit der Playstation. Kein einziges Mädchen war darunter, nur ein geduldiger Vater, der gelangweilt und milde lächelnd auf seinen Sohn wartete. Die interessanten Spiele waren nicht mehr frei und würden die restliche Nacht wahrscheinlich nicht mehr frei werden. Der Wellnessbereich war teuer (8 EUR), klein und übervölkert. In der unteren Bar ging es romantischer zu, ältere Ehepaare schunkelten zu Evergreens und die wilden Paare tanzten sogar zu Cher. So schlängelten wir uns durch die kleine Dampferstadt, sahen eine schöne Eröffnungsseiltanzshow und landeten ein paar Stunden später bei der Mitternachtseinlage, die erfreulicherweise eine Travestie-Show war. Danach zogen wir uns in unsere kleine 2er Kabine zurück und schliefen zu den dröhnenden Bässen der Disko ein.

In Stockholm angekommen wurde vom Zoll als erstes eine Alkoholkontrolle durchgeführt. „Um die ganzen Russen auszusortieren, die gestern auf der Fähre zuviel gesoffen haben“, sagte mein Freund lachend. Wir durften unbehelligt weiterfahren. Stockholm ist eine sehr schöne Königsstadt und hat eine hinreißende Architektur. Am Hafen sind viele Hausboote vor Anker und die verschiedenen Ebenen, auf denen die Straßen im Zentrum verlaufen, bringen Fahrvergnügen. Das Parken ist sehr teuer, aber da wir nur einen Tag hier bleiben wollten, nahmen wir das in Kauf und fuhren dazu nicht an den Stadtrand. Bei Kaffee und Kuchen lernten wir den Konflikt, den die Finnen mit den Schweden austragen, besser verstehen, stand doch auf der Speisekarte eine Selbsthuldigung von Stockholm als der wahren und einzigen Hauptstadt Skandinaviens mitsamt einer Auflistung diffuser Gründe, die diesen Anspruch untermauern sollten (wie zum Beispiel ein gut funktionierendes Straßennetz). Trotzdem hat mir Stockholm im Vergleich zu Helsinki besser gefallen. Die Stadt ist größer und sehr anmutig und die Menschen waren bunter und individueller gekleidet. Wir passierten einen wunderschön blühenden Park, indem viele Familien verweilten und irgendwie schien es an diesem Tag als wäre ganz Stockholm voll von Kindern. Ob dies nur ein individueller Eindruck war oder tatsächlich auf die intelligente Kinderpolitik zurückzuführen ist, wurde bisher noch nicht recherchiert und bleibt daher an dieser Stelle ungelöst.

Gegenstimmen gibt es aber anscheinend auch hier und so hatte eine Gruppe Andersgesinnter mit grünen Clown-nasen, die mit übererregter Stimme ihr Anliegen den Sozialstaat zu kürzen in Bars vortrugen, zwar das richtige Outfit gewählt, aber das war´s dann auch schon.

Allgemein ist zu sagen, dass ich mich, als großer Fan des Südens, hier in Skandinavien sehr wohl gefühlt habe. Von der angeblichen Kühle der Menschen im Norden habe ich nichts gemerkt. Im Gegenteil scheint es als wären die Leute ausgeglichener, in sich ruhend und deswegen vielleicht allgemein ruhiger, aber jederzeit zur Kontaktaufnahme bereit. Auch die Offenheit und Vorurteilslosigkeit gegenüber Fremden, die ich hier erlebt habe, ist bemerkenswert. Auf Äußerlichkeiten wird vielleicht bei sich selbst wertgelegt, nicht aber bei der Beurteilung Anderer. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen hier rücksichtsvoller sind als in Österreich, sei es beim Autofahren oder bei anderen zwischenmenschlichen Begegnungen. Die Eltern sind geduldig und ruhig mit ihren Kindern. Als ich einer Frau mit Kinderwagen die Tür aufgehalten habe, war ich kurz vor den Kopf gestoßen, da sich diese bei mir nicht einmal bedankte. (Und auch jetzt schreibe ich „nicht einmal“! Was soll sie den sonst noch alles tun?) Für Wiener Mütter ist es ja üblich sich aus falscher Verpflichtung in einer Dankestirade zu ergießen, wenn man sie nicht beim Einsteigen weggerammt hat oder gar gnädigster Weise die Tür aufhält. Hier nicht einmal ein Wort. Da wird dann schon mal kurz am Ego gekratzt „jetzt war ich so freundlich und dann – werde ich nicht einmal belohnt“… und nach weiterer Beobachtung und anderen Situationen stelle ich fest: niemand bedankt sich, weil es hier offensichtlich völlig normal ist, sich nicht wie ein rücksichtsloser Arsch zu verhalten und deswegen keine Orden vergeben werden.

Ich will nicht verallgemeinern und die nordische Klarheit kann (auch optisch) anstrengend sein, weil manchmal das Ungeordnete, Bunte, Schräge fehlt, aber dies war mein Eindruck und - wie bereits gesagt - habe ich mich hier sehr wohl gefühlt.

Auf der Fahrt von Stockholm nach Kopenhagen konnten wir die liebliche, südschwedische Landschaft bewundern. Weiter im Norden ist sie rauer, gleich Finnland und viele Nadelbäume säumen die steinigen, moosbewachsenen Ebenen und Hügel. Man weiß sofort warum hier die Trolle leben. Nun wurde alles wieder gewohnter. Saftige Wiesen und viele Schwarz-weiß gefleckte Kuhherden. Plötzlich unser langersehnter Elch am eingezäunten Straßenrand – leider ohne Geweih J Mit einem nächtlichen Zwischenstopp passierten wir Schweden und den kleineren Vättern See und befuhren eine hohe Brücke übers Meer nach Dänemark, um noch am selben Tag in Kopenhagen anzukommen.

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