Montag, 3. Mai 2010

Das verrückte Fest der Finnen



Wir kamen also am 31. April mit der Fähre in Helsinki an. Schon am Hafen entdeckten wir überall junge Leute mit bunten Anzügen, die etwas an Arbeitsanzüge erinnerten und über und über mit Stickern bestickt waren. Fast jeder Mensch auf der Straße trug eine weiße Matrosenkappe, die man in Finnland als Zeichen der abgeschlossenen Matura erhält, überall waren riesige Trauben bunter Luftballons zu sehen. Vappu ist ein großes Fest, das den sozialistischen Inhalt der Arbeiterklasse mit Elementen des Faschings vereint. Es ist auch die Feier des Frühlingsbeginns nach einem langen und harten Winter und von vielen Studenten, aber auch älteren Leuten, wird es ähnlich dem österreichischen Karneval mit reichlich Alkohol begossen und so ist von der angeblichen Verschlossenheit skandinavischer Bürger nicht mehr viel zu merken. Am 31. April um 18h wird traditionsgemäß die Statue Havis Amanda im Zentrum gewaschen – groteskerweise wurde begleitend dazu ein Kettenkarussell mit verkleideten Insassen inklusive angeschnallter Skier per Kran in die Luft gehievt – und anschließend mit dem bereits erwähnten weißen Käppchen ausgestattet. In diesem Moment wedeln alle am Platz stehenden Menschen mit ihren Käppchen in der Luft, rufen „Vappu“ und lassen Sektkorken knallen. Damit ist der Vappu-Irrsinn eröffnet und die folgenden 36 h herrscht in ganz Finnland Ausnahmezustand. Nach der Festeröffnung spazierten wir am Hafen entlang, betrachteten interessiert die angebotenen Köstlichkeiten und Kuriositäten, die von winzigen gebratenen Fischen mit Kopf und Innereien - die wie Pommes verzehrt werden - hin zu Lakritze, in allen erdenklichen Farben und Geschmacksrichtungen reichten, bis wir endlich in der ausgelassenen Menge am Senatsplatz untertauchten und umgeben von hysterischen Schreien, ekstatischen Gesängen, Crowd Surfern und Polonaise-Tänzern, die Zeit vergasen. Irgendwann mitten in der Nacht und im noch immer anhaltenden Gewusel der Massen, trafen wir dann auf den Stufen des Doms von Helsinki auf einen Studenten der technischen Universität in Linkin Park Pop-Punk-Style und schweinchenrosa Anzug, der uns erzählte, dass die verschiedenen Farben der Anzüge, die Farbe der Fakultäten symbolisierten und die aufgenähten Sticker der kreativen Gestaltung eines jeden Individuums freien Raum lassen. Wir hatten eine angeregte Unterhaltung über die gar nicht so verschiedenen Studiensysteme in Finnland und Österreich und über finnische Wohlfahrtspolitik und brachen dann irgendwann auf um Zigaretten zu kaufen. Als wir wenig später an dieselbe Stelle zurückkehrten war er weg und an seiner Stelle saßen zwei Geschichte Studenten mit denen wir problemlos ins Gespräch kamen. Es waren schräge Typen, die als stille Vappu-Verweigerer auf alle üblichen Attribute verzichteten. Einer von ihnen hatte Krücken bei sich und war ein Militärfreak, der ständig von der russischen Besetzung Finnlands sprach und uns noch mehrmals an diesem Abend versichern sollte „I love people from eastern europe, they are strong people. Middle-european people are weak“. Der andere war ein angenehmer Zeitgenosse ­­­­­­­­­­und Bücherwurm. Später stieß ein alkoholgeschwängerter Freund zu ihnen, dessen greller Schrei schon von weitem durch die Nacht gellte. Mit ihnen verbrachten wir den Rest der Nacht in einem nahegelegenen Pub und fuhren anschließend zu Alkoholjünger Niilo nach Hause. Er war ein netter Kerl und lud uns ein bei ihm zu übernachten. Wir wachten spät am nächsten Tag auf, um uns auf den Weg zum Kaivopuisto-Park zu machen, indem am 1. Mai das große Vappu Picknick stattfindet. Auch an diesem Tag tragen alle das weiße Käppchen, das bei machen bereits gelb gefärbt ist (vom vielen Feiern oder wie Niilo sagte „the more V­­appus you have on your back, the darker is the cap“).

Am späten Nachmittag zogen Menschen-Karawanen, gezeichnet von einer langen Nacht, schleppend den Hügel des Parks hinunter und am Hafen entlang Richtung Stadt. Unter den müden Schreien, der letzten sich aufbäumenden Feiernden, legten wir uns in unserem Wohnmobil schlafen. Als wir am nächsten Tag erwachten war der Spuk vorbei, die ganze Stadt blitzeblank gereinigt, Ruhe eingekehrt und weit und breit kein einziges, weißes Käppchen mehr zu sehen.

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